I. Welcome to Erkelenz! von Tobias Steinfeld (Hausbesuch in Erkelenz)

Eigentlich bin ich Bahnfahrer, aber es gibt Probleme und ich benutze ein Auto. Ein Hausbesuch steht an. Ich fühle mich ein bisschen wie der Landarzt, damals, in den Neunzigern, um 19 Uhr 25 im ZDF. Er fuhr mit seinem Volvo durch die wolkenlose Naturlandschaft einer Ortschaft namens Deekelsen. Der Landarzt half, Kinder auf der Landstraße zur Welt zu bringen oder befreite eingeklemmte Treckerfahrer aus ihrer Notlage. Dabei wollte er eigentlich bloß ganz normale Hausbesuche machen: Omas vor dem heimischen Fernseher den Blutdruck messen – sowas. Begleitet wurde er dabei stets von einer Mundharmonikanummer, die dem Publikum suggerierte: Manchmal ist das Leben nicht so einfach, aber hey, es gibt immer noch den Landarzt: Alles wird gut!

Ich bin kein Arzt, sondern Autor. Ich rette niemandem das Leben, soll bloß schreiben. Über die Jugend auf dem Land. Ich fahre keinen Volvo, sondern einen Kia Riu mit Vogelscheiße auf dem Lack. Der Himmel ist grau. Gleich wird er mir auf den Kopf fallen. Die Wolken hängen gefühlt zehn Meter über der Autobahn. Überall Dampf, Windräder, Schlote, Bagger, Kräne. Ein riesiger Krater. Sieht aus wie eine Mondlandschaft. Oder ein fremder Planet. Unbewohnt.

Ich schalte das Radio an, um die Weltuntergangsstimmung zu vertreiben. Lockere Sambarhythmen auf WDR Cosmo wären nicht schlecht. Stattdessen quält Bill Whithers sich ein hoffnungsloses „Ain’t no sunshine, when she’s gone“ heraus. Am Straßenrand liegt ein zerfetzter Bussard. Mein Hausbesuch findet nicht im ZDF statt und auch nicht in Deekelsen. Das hier ist das echte Leben. Welcome to Erkelenz!

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Tobias Steinfeld