Hinter den Sternen von Louisa aus Rees

Ich ging zur Bushaltestelle, schaute in die Sterne und dachte darüber nach, was dahinter liegen könnte: Gibt es dort ein anderes Leben, oder ist es dahinter einfach ,,leer‘‘? Warum gibt es gerade so viele Sterne? Abrupt wurde ich aus meinen Träumen gerissen, als der Bus mit quietschenden Reifen direkt vor mir hielt. Wasser spritzte an mir hoch und durchnässte mich vollkommen. Seufzend stieg ich in den Bus ein und stellte mich, wie immer, neben den Jungen, der immer gemobbt wurde, nur weil er anders war als die „coolen“ Jungs. Ich gehörte auch zu denen, die den Mund nicht aufkriegten und immer das taten, was andere von ihnen wollten. Schweigend standen wir nebeneinander und ich bemerkte die Übelkeit, die mich wie ein hungriges Raubtier überfiel. Kurz bevor ich dachte, ich müsste kotzen, öffneten sich die Bustüren und der Bus spuckte einen Schwall von lärmenden, rempelnden und ungeduldigen Kindern aus. Unter anderem auch mich und den schüchternen Jungen. Ich ging zu meiner Klasse, ich wusste, dass nun das ganze Elend wieder von vorne losging. Natürlich war heute keine Ausnahme. Das Gerede über Youtuber, Sänger und andere berühmte Leute, von denen ich keinen einzigen kannte, zog sich über den ganzen Tag. Der Schultag war wie immer eine Qual für mich, und ich war froh, als das schrille Ding-Dong mich endlich erlöste. Die Rückfahrt mit dem Bus lief besser als die Hinfahrt. Wenigstens zeigten diesmal nur ein paar Leute mit dem Finger auf mich und redeten darüber, dass ich keine Freunde hatte. Ich ließ es einfach an mir abprallen und beachtete sie nicht. Die Roboterstimme des Busses erklang: „Luisenstraße.“ Ich stieg aus und lief in unseren Garten, schmiss meinen Rucksack ins Gras, kletterte in unseren Kirschbaum und setzte mich auf meine Lieblingsastgabel, ganz oben im Baum. Der Ort, der dem Himmel am nächsten war. Ich musste wohl eingeschlafen sein, denn als mich meine Mutter zum Abendbrot rief, ging die Sonne schon unter. Es gab Spiegelei und Graubrot. Bald ging ich in mein Bett und schlief mit dem Gedanken ein, dass ich morgen wieder in die Schule musste. Ich träumte von Raubtieren im Bus, die mich angriffen. Mein Wecker weckte mich wie immer viel zu früh. Ich hievte mich aus meinem Bett, wusch mich und zog mich an. Zum Frühstück gab es Brot mit Frischkäse und Marmelade. Ich schlang es hinunter, drückte Mama und Papa einen schnellen Kuss auf die Wangen und ging nach draußen. Man konnte zwischen den Wolken den weiß scheinenden Mond sehen und die Sterne schimmerten wie Edelsteine. Ich dachte wie immer über dies und das nach, während ich zur Bushaltestelle lief. Der Bus kam und ich dachte, es würde ein ganz normaler Tag werden. Dies traf zu 99 Prozent ein, aber komisch war, dass der schüchterne Junge nicht da war. Ich überlegte, ob er vielleicht krank war. Ich dachte nicht weiter darüber nach und wartete, bis sich die Bustüren öffneten. Ich musste nicht lange warten, bis ich das „ZZZZZZZ“ von den Türen hörte und mal wieder mit den anderen Kindern aus dem Bus geschoben wurde. An der Bushaltestelle wollte ich meinen Augen kaum trauen. Der schüchterne Junge sagte zu den coolen Jungs: „Jetzt hört mal zu, ich lasse mich nicht verändern, ich bin so, wie ich bin und wenn ihr damit nicht klar kommt, dann lasst mich einfach in Ruhe!“ Er drehte sich um und ging fort. Die coolen Jungs tuschelten kurz und gingen dann ebenfalls ihrer Wege. Ich dachte den ganzen Tag über den Jungen nach und ob ich auch den Mut haben würde, so etwas zu sagen. Die Schulstunden zogen sich ewig lang und ich war heilfroh, als ich wieder das Klingeln hörte. Zu Hause angekommen flüchtete ich wieder auf meinen Kirschbaum und zerbrach mir den Kopf über den Jungen. Ich war den ganzen Tag über nicht sehr gesprächig und aß kaum etwas. In dieser Nacht träumte ich nichts und am nächsten Morgen dachte ich nicht über die Sterne, sondern über meinen Entschluss nach. Ich wollte das Gleiche tun wie der Junge, um mich endlich nicht mehr verstellen zu müssen. Als die Busfahrt zu Ende war, ging ich zielstrebig zu der Mädchenclique, die mich immer mobbte, nur weil ich keine Markenklamotten trug. Ich sagte ihnen meine Meinung. Die Tussen brachten keinen Ton heraus. Ich war mächtig stolz auf mich. Das war der erste Tag, an dem ich richtig glücklich war. Der schüchterne Junge, der übrigens Ben heißt, ist nun mein bester Freund und ich habe ein ganz neues Leben angefangen. Das Einzige, was von meinem alten Leben übrig geblieben ist, ist mein einzigartiger Klamottenstil – und, dass ich mir immer noch Gedanken darüber mache, was hinter den Sternen liegt.

Louisa