Franz bläst eine mächtige Qualmwolke quer über die Straße. Auf dem Grünstreifen zwischen den Fahrbahnen stehen rauchende Jugendliche. Ihre Gesichter wenden sie dem Haus mit der weißen Fassade und den großen Fenstern zu. Ich komme am Jugendzentrum Karo an. Bislang war ich inkognito unterwegs. Hier will ich mein wahres Gesicht zeigen – also das wahre Landinsicht-Gesicht. Im Billardraum erzählt Sylke, Sozialarbeiterin hier, ihr sei auch Qualität im Programm wichtig. Also hat sie ein Tagebuchprojekt ins Leben gerufen. Steckt noch in den Kinderschuhen. Die Idee gefällt mir. „Das Leben ist ein Arschloch“, steht auf dem Plakat, das die Jugendlichen darauf aufmerksam macht. Ich denke an Sido und darüber nach, wie ich das finden soll.
Ich lerne Jan und Jenny kennen, die eigentlich anders heißen, aber sich wünschen, dass ich ihre Namen hier ändere. Sie interessieren sich für das Tagebuchprojekt und haben schon erste Texte geschrieben. Jan ist 18 und hat keinen Bock mehr zurückzuschauen. Er will den ganzen Scheiß einfach abschütteln, nach vorne gucken. Aber so einfach ist das nicht. Das Tagebuchschreiben soll ihm dabei helfen. Das, was passiert ist, schreibt er auf, kann das Buch zuklappen und die Probleme drin lassen. Ich wünsche es ihm. Er ist oft down, sagt er, depri. Hat Menschen verloren, die ihm nahestanden, teilweise durch Selbstmord, das hat ihn mitgenommen, andere aus seiner Familie nicht so – auch das macht ihm zu schaffen. Ich merke, dass er sensibel ist, dass er die Menschen in seiner Umgebung wahrnimmt und sich um sie sorgt. Jan rückt Stühle für andere zurecht und kümmert sich darum, dass alle Getränke haben. „Das Karo ist wie ein Zuhause“, sagt er. Sein Telefon klingelt. Er springt auf. „Was ist los?“, fragt Sylke. „Alles okay?“ „Ich muss weg“, sagt er. „Oma die Strümpfe ausziehen.“
Jenny ist 14. Sie lebt im Kinderheim. „Wegen schlimmen Dingen“, sagt sie. Und, dass sie nicht sagen will, was das für Dinge sind. Ihre Mutter war kürzlich im Krankenhaus. Ihr Vater liegt schon länger im Koma und wird vielleicht sterben. Das Leben ist wirklich ein Arschloch, denke ich. Auch Jenny macht auf mich einen lieben, ja irgendwie herzensguten Eindruck. Ich bin froh, dass es das Karo gibt. Dass Jugendliche wie Jenny und Jan herkommen können, quatschen können, ernst genommen werden. Und das Leben ist auch nicht immer ein Arschloch: Jenny erzählt von ihren Hobbys. Sie geht Joggen am Auesee, im Sommer schwimmt sie hier gerne. Jenny nimmt auch an offiziellen Volksläufen teil. Und an so genannten Schlammläufen, die ihr viel Spaß machen. Es ist vor allem Jans und Jennys offene Art, die mich begeistert.
3/5 Fortsetzung folgt…
Tobias Steinfeld