Besuch aus New York von Lina aus Herzogenrath

Liebes Tagebuch,

heute kam meine Freundin Hanna aus New York an. Ich hatte sie lange nicht mehr gesehen und trotzdem war es, als wäre sie nie weg gewesen. Na ja, zumindest vom Verhalten her. Äußerlich hatte sie sich in ein echtes Großstadtmädchen verwandelt. Es ist jetzt schon sechs Jahre her, dass sie weggezogen war und sie konnte sich kaum noch an die Gegend erinnern. Deshalb schlug ich ihr eine Erkundungstour zu unseren früheren Lieblingsplätzen vor. Sie willigte ein und zusammen liefen wir zur Bushaltestelle. Zehn Minuten später fragte mich Hanna: „Wann kommt denn endlich der Bus? In New York hätten wir schon mit fünf fahren können.“ Ich wunderte mich. Mir war es nie aufgefallen, aber jetzt wo sie es erwähnte, wurde mir bewusst, dass unser kleines Dorf in Bardenberg, New York nicht das Wasser reichen konnte. Ich schwieg. Wir stiegen in den nächsten Bus, der kam, und wir fuhren nach Alsdorf. Als erstes wollten wir ins Kino. Dort angekommen sagte sie zu mir: „Was? Nur so ein kleines Kino und das soll das ganze Programm sein?“ Ich fühlte mich immer schlechter. Ich gab zu, unser Kino war nicht das größte, aber die Kasse, die Theke wo Popcorn und Getränke verkauft wurden und die Kinosäle – das reichte doch. Ich war immer zufrieden mit all dem hier gewesen und jetzt kam jemand her und machte alles schlecht.

Aber vielleicht hatte Hanna auch recht. Hier war alles kleiner und ruhiger als bei ihr. Es stimmte.

Hier kommen weniger Busse und es gibt kleinere Kinos. Doch es muss ja nicht bedeuten, dass das schlecht ist, oder?

Nach unserem Ausflug ins Kino fuhren wir nach Aachen. Ich dachte, sie würde sich in der überfüllten Stadt wohler fühlen. Doch da hatte ich mich geirrt. An jeder Kleinigkeit hatte sie etwas zu mäkeln und verglich alles mit New York. Ich fühlte, wie ich bei jedem Satz unter ihren Worten schrumpfte. Doch gleichzeitig wurde ich wütend. Dies war meine Heimat und selbst wenn sie nicht perfekt war, welche Stadt war das schon?

Selbst in der Stadtbibliothek Aachen motzte sie nur herum. Das war zu viel für mich. Ich liebte diesen Ort, an dem ich in die Welt der Bücher sinken konnte. An dem ich zu den Bücherfiguren werden konnte, welche ein Abenteuer nach dem anderen erlebten. Hier konnte ich der manchmal langweiligen Welt entfliehen und in ein anderes Land, manchmal sogar andere Welten, reisen. Diesen für mich besonderen Ort machte keiner zunichte. Ich schrie sie wütend an: „Wenn es dir hier nicht passt, verzieh dich doch!“

Hanna starrte mich ungläubig an und ich sah, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Augenblicklich tat mir mein Verhalten leid, aber ich entschuldigte mich nicht.

Tut mir leid!“, stotterte Hanna zwischen zwei Schluchzern, „Ich wollte nur …“ Tränen liefen ihr sanft die Wangen runter und hinterließen Spuren der Traurigkeit.

Was wolltest du?“, fragte ich sie leise.

Ich dachte, wenn ich alles schlecht machen würde, würde es mir leichter fallen, diesen Ort ein weiteres Mal zu verlassen.“

Oh, das hatte ich jetzt nicht erwartet. Ich dachte, sie wäre glücklich in New York und jetzt kam heraus, dass sie die ruhige, kleine Stadt vermisste. Irgendwie machte es mich glücklich zu wissen, dass sie meine Heimat, unsere Heimat, doch nicht so schlimm fand.

Ich umarmte sie und auch sie legte ihre Arme um mich und ließ sich trösten. Wir besuchten noch die restlichen Orte und erinnerten uns an die alten Zeiten, die uns wie ein dickes Band für immer verbinden würden.

Lina