Gefühlt jedes Kaff in Deutschland hat dieses Problem und gefühlt jede und jeder regt sich darüber auf: die Bus- und Bahnverbindungen.
Hört man den Begriff „Kaff“, tauchen im Kopf sofort Bilder auf.
Bilder von großen Feldern, Bauernhöfen, Tieren, besonders Kühen auf Wiesen.
Dörfer mit langen, engen Straßen und vielen Abzweigungen.
Früher fuhren Kutschen dort durch, heute quälen sich die Busse um die Kurven.
Morgens geht es ja noch einigermaßen, wenn man mich fragt.
Alle zehn Minuten kommen Bahnen und dazu abgestimmt die Busse.
Obwohl, der eine Bus, der einmal morgens und einmal mittags fährt.
Der, der von Kaff zu Kaff fährt und immer voller wird: der Schulbus der Jungenschule.
Als Schüler hier in der Stadt und im Umland dürfen wir jeden Bus benutzen, der uns zur Schule oder mittags nach Hause bringt.
Ich für mein Teil muss den Schulbus der Jungenschule nehmen. Zwei Stationen, das sind ungefähr zehn Minuten.
Mit dem Zug würde die Strecke eine halbe Stunde dauern und ich müsste zusätzlich noch ein ganzes Stück laufen.
Sich jeden Schultag in solch einen derart überfüllten Bus zu quetschen, führt zu Depressionen. Besonders bei Mädchen. Wirklich unangenehm, in einen Bus zu steigen, der zu fünfundneunzig Prozent mit Jungs gefüllt ist, der so voll ist, dass man immer die Tasche von der Schulter nehmen muss, um wenigstens für ein bisschen Platz in dem Gedränge zu sorgen.
Oft sehe ich viele bekannte Gesichter aus der Nachbarschaft, dem Kindergarten und der Grundschule. Das hat Vor- und Nachteile.
Entweder man redet miteinander, erzählt sich Geschichten, findet Gemeinsamkeiten und macht kurz Smalltalk oder man redet eben nicht. Immer entsteht sofort oder nach kurzer Zeit ein peinliches Schweigen. Manche haben es noch nicht einmal nötig, zu grüßen, geschweige denn, mir ein kleines Lächeln zu schenken.
Nein, sie ignorieren dich, tun, als wärest du Luft, als wärest du nie mit ihnen in derselben Grundschulklasse gewesen, als ob sie dich nie vorher gesehen hätten.
Macht man das heutzutage so? Schon seltsam, so ein Verhalten.
Die Türen öffnen sich und der Lärm schwappt aus dem Bus.
„Darf ich bitte mal, Entschuldigung, lasst ihr mich bitte mal einsteigen…“
Jedes Mal nervig für mich.
„Könntet ihr bitte mal etwas rücken?“
Ich muss schon lauter werden, blicke hilfesuchend in die Gesichter der Jungen.
Langsam, ganz langsam kommt Bewegung in die Meute.
Schüchtern sage ich: „Danke!“, schäle die Schultasche von meiner Schulter und stelle sie zwischen meine Füße, um für alle für ein wenig mehr Platz zu sorgen.
Ich fummele meine Kopfhörer aus der Jackentasche, entknote sie, führe sie Richtung Ohr, als ich einen Jungen aus der Menge genervt fragen höre:
„Boah, können sich die anderen Schulen eigentlich keine eigenen Busse leisten?“
Viel Getuschel setzt ein.
Ein Mädchen ruft laut zurück: „Nein, die Stadt hat kein Geld. Ist doch bekannt.“
„Na, dann fahr doch mit der Bahn!“ ruft ein anderer in ihre Richtung.
„Ich habe dasselbe Recht wie du, in diesem Bus zu sitzen. Am besten fährst du mal mit der Bahn, dann wäre hier drin auch bessere Luft!“ hält das Mädchen ihm entgegen.
Das hat gesessen. Der halbe Bus bricht in Gelächter aus, der Junge läuft puterrot an, bis sein Gesicht die Farbe seines Pullovers angenommen hat.
Mit einem kleinen Grinsen blicke ich mich noch einmal um und stecke die Kopfhörer in die Ohren. An meiner Schule angekommen werde ich regelrecht aus dem Bus geschubst.
Viele Eltern schreiben schon lange Beschwerdebriefe an die Stadt, auch wenn die wenig machen kann. Es fehlt an Geld, um jeder Schule einen eigenen Schulbus zu spendieren und was kann die Stadt schon tun, um das Verhalten der Schüler und Schülerinnen zu ändern.
Ich meine, dass jede und jeder sich zuerst mal an die eigene Nase fassen sollte, bevor man sich über andere aufregt. Würden wir alle ein wenig mehr Rücksicht auf einander nehmen und begreifen, dass jede und jeder das Recht hat, in egal welchem Schulbus mitzufahren, würde der Tag für viele Schülerinnen und Schüler viel harmonischer verlaufen und nicht direkt mit Stress beginnen.
Das kann doch nicht so schwierig sein. Oder doch?
Xenia