Auf dem Fußballturnier war es laut. Laut und voll wie bei kaum einem anderen. Sicher hatte die Bekanntschaft der Herrenmannschaft etwas dazu beigetragen. Dicht gefolgt von meinen Mitspielerinnen schob ich mich schnell durch die Menge der anderen Mädchenteams und suchte uns einen noch freien Platz in der Umkleide. Es kam wie es kommen musste: alles war besetzt bis auf den Platz neben den Spielerinnen des FC Bayern München. Wir zogen uns um, quetschten uns danach draußen auf die Bänke und schauten dem Spiel der Kölnerinnen gegen Bonn-Endenich zu. Danach folgte unsere Partie gegen den FC Bayern, unseren vermeintlich stärksten Turniergegner.
Jemand tippte mir auf die Schulter. Ein Mädchen in rot-weißem Trikot. Sie musterte mich breitbeinig mit einem verächtlichen Lächeln von oben nach unten.
„Woas habt´s ihr denn hier verloren? TUS Roisdorf, wo is´n des? Hab´ i noch nie g´hört, den Ort.“
Ich verdrehte die Augen, antwortete ihr nicht. Keine Lust, mich mit so einer arroganten Trine zu beschäftigen.
Sie stupste mich erneut an.
„Was willst du denn noch?“ zischte ich sie genervt an.
„Des war grad a bisserl zu…na ja, direkt. Weißt, i würd´ wirklich gern wissen, wo´st du herkommst, weil, i merk g´rad, dass i Deutschland net so gut kenne, wie i g´dacht hab.“
Ich blickte sie an, zögerte noch mit der Antwort.
„Ist schon ok. Ich komme aus Alfter. Aber jetzt bist du auch nicht schlauer. Viele Leute kennen sich in Deutschland nicht gut aus. Alfter liegt neben Bornheim und das ist in der Nähe von Bonn.“
Sie blickte ratlos drein.
„Sag mir nicht, dass du noch nie etwas von Bonn gehört hast?“
Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern.
„Weißt du denn, wo Köln ist?“
„Ähmm, ja, i glaub scho.“
Überzeugen konnte mich das nicht.
Ich grinste. „Gut, denn Alfter ist nur 27 Kilometer von Köln entfernt.“
„Ah, also irgendwo im Nirgendwo zwischen, ja…stimmt des, dass dort, wo´st wohnst, viele Bauern ihr Unwesen treiben und es nur wenig Infrastruktur gibt?“ stocherte sie nach.
„Nein,“ hielt ich ihr energisch entgegen, „ich lebe ja nicht in der Vollpampa. Natürlich ist das hier nicht vergleichbar mit Großstädten wie Berlin, Köln oder auch Bonn. Es ist kleiner, gemütlicher, ruhiger, ich mag das. Und bloß weil mein Dorf nicht so bekannt ist, heißt das ja nicht, dass hier nur unzivilisierte Leute wohnen.“
Sie blickte mich fragend an. „Was kann mer denn hier bei euch so machen. I mein, bei uns läufst fünf, höchstens zehn Minuten und scho bist in der Altstadt mit Cafés, Shopping Malls, weißt.“
„Na ja, stimmt schon, dass es bei uns nicht soo viele Möglichkeiten gibt, etwas zu unternehmen. Als ich klein war, wollte ich unbedingt Sport machen, also haben meine Eltern in der ganzen Gegend nach Mannschaftssportarten gesucht. Kein Hallenhandball, kein Fußball, wir sind immer weiter weg von Alfter gefahren, bis wir in Roisdorf beim TUS gelandet sind. Hier auf dem Land dauert vieles eben länger als in der Stadt, du musst weiter fahren, es gibt keine Buslinien. Vielleicht hast du ja recht, wenn du Alfter als eine Art Kaff bezeichnest. Für Jugendliche gibt es kaum Angebote, wenn du nicht gerne betrunken auf Kinderspielplätzen abhängen möchtest.“
Ich kam immer mehr in Fahrt.
„Als Kind hat mich das nicht gestört, aber heute muss ich auch mal ´raus aus dem Dorf, will mit meinen Freundinnen und Freunden etwas erleben. Weil fast alle von denen nicht in Alfter, sondern in den benachbarten Dörfern wohnen, ist Bonn zu unserem Haupttreffpunkt geworden.“
„Bonn, ja, des …“ Sie machte eine lange Pause, als ob sie irgendeine und auch nur schwache Vorstellung davon hätte, wo Bonn liegt, wie weit entfernt es ist und wie man dorthin gelangen könnte.
„Ja, oder Köln. Da sind wir auch oft. In der Altstadt, am Dom, shoppen auf der Hohe Straße. Viele coole Läden.“
Sie nickte mir aufmunternd zu. Ich hatte deutlich an Achtung gewonnen bei ihr, sie räusperte sich und sagte:
„Scheinbar erlebst gerne Abenteuer. Wie wäre es denn, wenn´st mich a mal in München besuchst?“
Ein großzügiges Angebot von einer Fremden. Ich musste lächeln.
„Versteh´ mich nicht falsch, bitte. Ja, ich mag Abenteuer, da hast du recht. Dein Vorschlag ist verlockend, danke, aber weißt du, hier ist meine Heimat, mein kleines Kaff gibt mir Beständigkeit und Ruhe und das schätze ich noch viel mehr als das Stadtleben.“
„Ich versteh´ di.“
Sie wollte noch etwas sagen, wurde aber von der Ansage des Stadionsprechers unterbrochen, der das nächste Spiel ankündigte.
„Wir sind jetzt dran!“ sagte ich, was allerdings überflüssig war, weil sich beide Mannschaften in Bewegung setzten.
Hastig schob ich noch ein „Wie heißt du eigentlich?“ hinterher.
Besser zu spät gefragt als nie, dachte ich.
„Ja, servus, i bin die Marianne!“
„Und ich Hanna.“
Wir reichten uns die Hände.
Bayern gegen Borussia Dortmund.
Dann betraten wir den Rasen.
Hanna