Wenn Freunde zu Feinden werden von Laura aus Bornheim (Tagesworkshop „Ein Sonntag auf dem Land“)

Ich sitze im Auto und blicke auf die lange Reihe der Wagen vor mir. Der Berufsverkehr ist wie immer die Hölle. Schlimm genug, dass ich wegen meines Chefs Überstunden machen muss. Jetzt verbringe ich auch noch Stunden auf der Autobahn im Stau. Aber so ist es eben, wenn man einen gut bezahlten Job haben möchte, den man in einem kleinen Dorf einfach nicht findet. Es geht zwei Meter weiter, ich stoße einen langen Seufzer aus, schaue auf die Digitaluhr meines Vaters.

„Schon wieder so spät! Und zum Sport werde ich es wohl auch nicht mehr schaffen!“ sage ich verärgert zu mir.

Man sollte meinen, dass ich mich nach all der Zeit an den fast täglichen Stau hätte gewöhnen können, aber ich rege mich immer noch darüber auf. Nach über einer Stunde erreiche ich endlich mein Haus in dem kleinen, öden Kaff, steige aus dem Auto und sehe Felicitas, wie sie lächelnd und Händchen haltend mit ihrem Mann Mark nach Hause kommt. Ja, ich bin eifersüchtig auf sie. Und wie. Warum muss ich ihnen immer weiter über den Weg laufen, warum musste das nach dem Tod meiner Eltern geerbte Haus ausgerechnet hier stehen, warum hatte sie so viel mehr Glück als ich?

Zugegeben, sie sieht gut aus, hat Eigenheim, Mann und muss dafür noch nicht mal arbeiten. Hätte ich doch bloß so viel Geld, um von hier fortzuziehen und ihren Anblick nie mehr ertragen zu müssen.

Sie schließen die Haustüre hinter sich, ich kann mich kurz von ihnen abwenden. Aber dann sehe ich das Paket im Flur, was schon seit Tagen dort liegt. Mist, das muss ich ihnen ja noch herüberbringen. Genervt hebe ich es auf und mache mich auf den Weg. Ich sehe Mark beim Gang zu seinem Auto, einen kleine Koffer in der Hand.

Unsere Blicke treffen sich, ich bleibe abrupt stehen, er lächelt, ich lächele zurück, dann schaut er wieder weg und tut, als ob ich unsichtbar sei. Ich gehe weiter, bis ich vor dem Haus stehe, klingele. Felicitas öffnet mir die Tür. Weiße Bluse, eine enge, ihre schlanke Figur betonende hellblaue Jeans, ihr langes braunes Haar zu einem derben Zopf zusammengebunden.

Stumm reiche ich ihr die Lieferung. Sie blickt mich erwartungsvoll an, fragt nach einer kleinen Pause:

„Beate, wie geht es dir denn? Wir haben uns ja ewig nicht mehr unterhalten!“

„Tja, seit du mir den Freund ausgespannt hast und dann noch die Frechheit hattest, ihn zu heiraten und mich dazu noch einzuladen…“ sage ich barsch.

„Ach, du bist immer noch sauer darauf? Das ist doch schon Jahre her!“ entgegnet sie und ihre Stimme wird einen Tick höher.

„Natürlich bin ich noch sauer!“ schreie ich sie an und trete einen Schritt näher.

„Denk doch mal weiter!“ , erwidert sie, während sie rückwärts in den Flur des Hauses ausweicht. „Wenn Mark dich weiter geliebt hätte, hätte er dich ja meinetwegen nicht verlassen!“

„Das tut doch nichts zur Sache! Du warst meine beste Freundin und hättest gar nicht daran denken dürfen, mit ihm etwas anzufangen, geschweige denn es dann auch wirklich zu tun!“ blaffe ich zurück.

All meine Wut, mein Hass, die Enttäuschung der vergangenen Jahre, meine Eifersucht kommen wieder hoch, überrollen mich und ich kann sie nicht mehr kontrollieren. Ich brülle immer lauter, gehe weiter Schritt für Schritt auf sie zu, während sie ins Innere des Hauses ausweicht, bis wir in der Küche angelangt sind und ihr kein Fluchtweg mehr bleibt.

„Ich habe genau wie du das Recht auf eine Beziehung mit ihm, daran ändert eine Freundschaft und sei sie auch noch so lange nichts!“ zischt Felicitas mich an. „Am Ende hat er sich für mich entschieden, wer will ihm das verübeln?“

Wie kann sie es wagen, das ist doch die Höhe! Erst reißt sie sich meinen Freund unter den Nagel und meint jetzt noch, dass sie damit im Recht sei und schuldlos gehandelt habe. Mein Unterkiefer beginnt zu beben, meine Hände werden schweißig, ich bebe vor Wut.

„Kapier es doch endlich, Beate, er wollte dich nie und egal, was du jetzt oder in Zukunft sagst und tust, es wird sich nichts mehr daran ändern!“

Der tödliche Stich mitten in mein Herz.

„Pass auf, was du sagst, Madame!“ knurre ich sie an und greife ohne lange nachzudenken zu dem Kochmesser auf der Anrichte, halte ihr die Spitze der Klinge an den Hals.

Augenblicklich verfliegt jede Selbstsicherheit auf ihrem Gesicht, jede Arroganz. Was bleibt ist nackte Angst.

Langsam, ganz langsam bewegt sie sich millimeterweise weg von der scharfen Klinge, atmet schwer.

„Das wirst du doch wohl nicht tun!“ sagt sie mit zittriger Stimme.

Ich fixiere sie weiter mit meinen Augen ohne zu antworten, führe das Messer wieder an ihre Kehle, lasse den Stahl für mich sprechen.

„Bitte, tu das nicht! Ich gebe dir was du willst, aber bitte leg das Messer weg!“

Ich kann die Panik in ihren Worten hören, kann sie in ihren Augen sehen und weide mich daran.

Ja, sie soll auch leiden, die falsche Schlange, da lege ich doch das Messer nicht weg. Ich führe es ein wenig weg von ihrem Hals, höre sie aufatmen, bin aber noch lange nicht bereit, sie zu verschonen.

Sie hat mich gequält und heute folgt meine verdiente Rache.

Mein gebrochenes, zerstückeltes Herz gegen den Stich in ihres.

Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Ich finde mehr und mehr Gefallen daran, sie so vor mir zu sehen.

„So leicht kommst du mir nicht davon!“ knurre ich sie seelenruhig an, lasse meine Worte wirken, senke die Stimme immer weiter.

„Dir die Kehle aufzuschlitzen und dich einfach verbluten zu lassen, ist doch viel zu wenig Strafe!“ sage ich und steche zu, ramme die Klinge in ihr Herz, drücke noch einmal nach, drehe den Griff nach rechts.

Schreiend sinkt sie zu Boden, Blut breitet sich auf ihrer Bluse aus.

„Jetzt weißt du, wie ich mich gefühlt habe, als du mich damals verraten hast, als du unsere jahrelange Freundschaft aus dem Fenster geworfen hast, als wäre sie dir nichts wert.“

Rasend vor Wut steche ich weiter auf sie ein, egal, wo ich sie treffe. Was für eine Befriedigung mir das verschafft, zuzusehen, wie das Leben langsam aus ihr weicht, wie sie leblos vor mir liegt.

Blut breitet sich auf dem Küchenboden aus, bedeckt die hellen Fliesen, fließt in die Fugen.

Wie in Trance schaue ich zu und realisiere erst jetzt, was ich getan habe, lasse das Messer klirrend auf den Boden fallen, sehe das Blut an meiner Hand.

Mein Gott, wie konnte ich nur in solch eine Raserei geraten, wie konnte ich ein lebendiges Wesen töten! Sie hatte es verdient, glaubte ich in meiner Raserei und hatte meinen Sohn völlig vergessen, nicht daran gedacht, was mit ihm passieren würde, wenn die Polizei mich verhaften und ich ins Gefängnis kommen würde. Werden sie ihn ins Heim bringen? Wer würde sich sonst seiner annehmen?

Ich wische das Messer ab, versuche meine Fingerabdrücke zu entfernen, lege es in ihre Hand. Würde es wie ein Selbstmord aussehen können?

Mittlerweile ist die Dämmerung aufgezogen, auf der Straße sind keine Menschen zu sehen.

Ein kühler Wind pfeift durch die Straße.

Schnell noch mit einem Tuch die Türklinke abgewischt – habe ich an alles gedacht?

Ich bin eine Mörderin. Mörderin, Mörderin! hämmert es in meinem Kopf. Sie werden mich einsperren für den Rest meines Lebens.

Im meinem Flurspiegel sehe ich mich: zerzauste Haare, blutbeflecktes Shirt und Hose.

Ich sollte mich hassen, zutiefst erschüttert sein, aber seltsamerweise fühle ich mich auch befreit.

Schnell den Kamin angezündet, Kleidung ausziehen und sie in die Flammen werfen, andere Hose anziehen, Bluse, Tasche, Schlüssel, ins Auto steigen und losfahren, um Paul vom Fußballtraining abholen.

In einer Dreiviertelstunde wird er dort stehen, die Sporttasche über der Schulter, fragen, wie mein Tag war und was es gleich zu essen gibt.

Konzentriere dich auf den Verkehr! ermahne ich mich und werde die Bilder im Kopf nicht los.

Tränen laufen über meine Wange.

Das Telefon klingelt.

„Beate?“

Manuela, die Mutter des besten Freundes meines Sohnes.

„Ja, hallo!“

„Paul wollte gerne über Nacht mit zu uns kommen? Ist das ok für dich? Ich würde ihn dann gleich mit zu uns nehmen. Klamotten für die Nacht haben wir ja und auch noch seine Zahnbürste vom letzten Mal.“

„Ja, wenn es euch keine Umstände macht, gerne.“

„Nein, wir haben ihn doch gerne zu Besuch, das weißt du doch. Und für Tom ist das auch schön. Dann können sie noch einen Film gucken oder ein bisschen FIFA zocken. Ich bringe ihn dir morgen vorbei!“

„Danke, das ist lieb. Bestelle ihm bitte liebe Grüße von mir!

„Mach ich! Dir einen schönen Abend!“ verabschiedet sich Manuela.

Völlig umsonst losgefahren, denke ich noch, wende an der nächsten Ecke und mache mich auf den Rückweg, vorbei an ersten Weihnachtsbeleuchtungen und Pfützen, in denen sich die Scheinwerfer der Autos spiegeln.

Als ich mein Haus erreiche, sehe ich schon von weitem die Blaulichter der Notarztwagen und Polizeiautos, die Bänder, mit denen ein Teil der Straße abgesperrt ist, viele Menschen, Nachbarn.

„Ich wohne hier.“ sage ich zu dem Polizist. Er lässt mich durch, ich parke in der Einfahrt, versuche, unbemerkt ins Haus zu gelangen, aber vergeblich. Zwei Beamte kommen auf mich zu, Notizblöcke in der Hand.

„Können wir Ihnen kurz ein paar Fragen stellen? Sie sind die Nachbarin?“

„Ja.“

„Die Frau im Haus gegenüber, es tut uns sehr leid, wir müssen ihnen mitteilen, dass sie verstorben ist. Es könnte ein Gewaltverbrechen sein. Wir nehmen gerade die Spuren auf. Wir haben von Ihren Nachbarn gehört, dass sie sich kannten.“

„Ja, das stimmt. Um Gottes Willen, wie konnte das…“

„Wir wissen es noch nicht. Hatte sie Feinde? Ist ihnen in den letzten zwei, drei Stunden irgendetwas Verdächtiges ausgefallen, ein fremdes Auto, Geräusche, Schreie, ein Streit?“

„Nein, tut mir leid, ich war gar nicht zu Hause, ich war mit dem Auto unterwegs, wollte noch meinen Sohn vom Training abholen, aber der übernachtet bei einem Freund.“

„Dann haben wir im Moment keine weiteren Fragen. Wir kommen nochmal zu Ihnen, wahrscheinlich morgen. Auf Wiedersehen!“

Ich öffne eine Flasche Rotwein, nehme mir ein Glas und lasse mich auf das Sofa fallen.

Im Kamin ist noch Glut zu sehen.

Am nächsten Tag stehen erneut Krankenwagen in der Straße. Eine Frau führt einen kleinen Jungen an der Hand über die nasse Auffahrt, der Junge weint hemmungslos. Am Bordstein steht eine Frau mit einem Turnbeutel, sie spricht mit einem Sanitäter, zwei Männer in grauen Anzügen tragen eine Bahre aus dem Haus. „Vermutlich Alkoholvergiftung.“ sagt der Sanitäter zu der Frau. Am gegenüberliegenden Haus sitzt ein Mann auf dem Rasen, stiert stumm vor sich hin, der Regen läuft ihm in den Kragen, er spürt ihn nicht.

 

Laura